Es ist schon ein paar Wochen und viele gefahrene Kilometer her. – Im Juli war es. – Ich weiß es noch genau. Diese Bilder sind auch ohne Fotos in meinem Kopf hängen geblieben.
Die Fähre von den Orkney-Inseln hatte in Thurso angelegt. Eine Hafenstadt am nördlichsten Ende des schottischen Festlandes. Ohne genaues Ziel fahre ich in Richtung Westen weiter. Immer der Küste entlang, die bei der kurvenreichen Straße mal zu sehen und dann auch wieder nur zu erahnen ist. Am späten Nachmittag drängt sich die Frage auf, wo ich die kommende Nacht verbringen könnte. Heute muss es kein Campingplatz sein. Die Akkus sind aufgeladen, der Wassertank ist voll. Es darf auch gerne ein Platz irgendwo in schöner Landschaft sein.
Mit einem Blick auf die Karte suche ich die Umgebung ab. Bei dieser dünnen Besiedlung wird leicht etws zu finden sein. Da, Strathy Point Lighthouse, sieht verlockend aus. Ein Leuchtturm am Ende einer langen Landzunge, die spitz ins Meer ragt. Sicherlich ein besonderer Platz zum Übernachten, denke ich mir.
Nach ein paar Kilometern Fahrt weist ein Schild nach rechts zum Strathy Point. Vorbei an bewohnten und auch verlassenen Höfen und Häusern windet sich kurvenreich eine Single Track-Road durch die Landschaft. Ratternd fahre ich über Cattle Grids, Gitter die in die Fahrbahn eingelassen sind damit die Huftiere nicht über die Straße das Weite suchen oder sich auch nur auf Nachbars Wiese in einer fremden Familie wiederfinden.
Nach dem Leuchtturm Ausschau haltend fahre ich soweit bis es auf einmal nicht mehr weiter geht. Die Straße hört einfach auf Straße zu sein und verwandelt sich in einen zweifelhaften Grasweg. Einfach so, als seien die Mittel ausgegangen. Und ohne weiteres Versprechen auf den Leuchtturm, von dem ist auch nichts zu sehen, führt der grasbewachsene Weg ins Nichts. Ich gebe besser auf. Keine Experimente, nicht um diese Uhrzeit. Ich kehre mühsam auf dem schmalen Weg um.
Auf der gleichen Strecke zurück zur Hauptstraße und aus einer anderen Perspektive sieht man auf einmal ungeahnt in der Ferne eine Ansammlung von Campervans. Ein Campingplatz kann es nicht sein, weil direkt daneben auf einer weiteren Anhöhe ist ein Friedhof zu erkennen. Es geht zurück bis zu einer Ansammlung von ein paar Häusern, die man hier schon als Ortschaft bezeichnen würde und ein kleines Schild weist zum Cemetry. Ein weiteres Schild in die selbe Richtung verspricht einen Strand. Jetzt wird klar, was vorher nicht zu erkennen war. Der Strand ist der Grund für die Ansammlung von Reisefahrzeugen. Nicht der Friedhof.
Der Weg dorthin, nicht so lang wie zum Leuchtturm, lässt das Ziel nicht weniger abseits erscheinen. Auf einer mehr oder weniger abschüssigen Schotterfläche stehen dort fünf Campingfahrzeuge von Menschen der Generation Surfboard. Es gibt auch eine Holzhütte mit Veranda und Sanitäranlagen. Nur, weder der Strand noch das Meer ist vom Parkplatz aus zu sehen.
Damit mir später die Nudeln beim Kochen nicht aus dem Topf hüpfen sollte es ein einigermaßen ebener Platz zum Stehenbleiben sein. Ich entscheide mich für eine Stellfläche am Durchgang zu den Dünen. Zwei Barrieren verhindern sinnvoll die Weiterfahrt ohne Wiederkehr. Dahinter geht es ganz schön steil nach unten.
Noch vor einer knappen halben Stunde hatte ich die Vorstellung von einem Übernachtungsplatz auf einer Klippe, von drei Seiten vom Meer umgeben. – Davon musste ich abrücken. Und finde mich nun vor einer Friedhofsmauer wieder. Ein ganz anderes Setting, aber eigentlich auch nicht weniger interessant!
Hinter der Mauer steigt der Friedhof in unregelmäßigen Wellenformen steil an. Das ermöglicht mir den Blick auf viele der Grabstätten direkt aus meinem Fahrzeug heraus. Alte schief stehende Grabsteine und Kreuze bestimmen vorwiegend das Bild. Dazwischen immer mal wieder neuere Gräber. Und, – als ob die Gräberreihen Seegang simulieren wollten passen sie sich dem wellengeformten Boden an.
Auf den Friedhöfen der Küstenregionen sind, u.a., die Menschen begraben, die ihr Leben mit und auf dem Meer bestritten haben. Seefahrer und Fischer. Ihre letzten Ruhestätten sind alle zum Meer ausgerichtet. – Und es wird hier auch auf Mahnmalen an die gedacht, die ihr Leben in den Kriegen auf See lassen mussten.
Die Besichtigung des Friedhofs muss für mich bis morgen warten. Für heute Abend soll der Blick über die Mauer erst einmal ausreichen.
Am nächsten Morgen ist alles Grau in Grau. Feiner dichter Regen bestimmt das Bild. Diese Wetterverhältnisse bewegen mich nicht unbedingt zum Weiterfahren während die Fahrzeuge um mich herum nach und nach verschwinden. Wahrscheinlich keine Bedingungen zum Surfen.
Bald stehe ich nur noch alleine da. Starre mit einem Becher dampfendem Kaffee in der Hand über die Mauer und warte darauf, dass die wellenförmigen Gräberreihen vielleicht doch mal in Bewegung geraten.
Ich bleibe nicht lange allein. Es mag vielleicht 9 Uhr sein, – oder Viertel nach. Da kommen zwei identisch aussehende Fahrzeuge geräuschvoll über den Schotterparkplatz gefahren und stellen sich in guter Sichtweite von mir entfernt mit der Frontseite vor den Friedhofseingang. Die kleinen Transporter gehören zur örtlichen Gemeinde, erkennbar an den Emblemen auf den Fahrertüren. Schaufeln, Bretter, Werkzeuge auf ihren Ladeflächen lassen auf einen Arbeitseinsatz schließen. Wie in Bereitschaftsposition haben sie sich dicht nebeneinander gestellt.
Innen sitzen jeweils zwei Männer. Durch die heruntergelassenen Seitenscheiben stehen sie hörbar untereinander im Kontakt. Zwar lässt sich aus den dialektreichen Wortfetzen kein Reim machen, es hat aber offensichtlich etwas mit Humor zu tun. Und Lachen lässt sich auch unter dem stärksten Dialekt identifizieren. Vielleicht haben sich die vier Gemeindemitarbeiter hier zu einer gemeinsamen Frühstückspause getroffen, an diesem abseitigen Platz? Warum nicht?
Nach einer guten Dreiviertelstunde, – oder noch etwas länger, sitzt das Quartett weiterhin gemütlich zusammen. Dass sie mich ignorieren ist mir ganz recht. Auch ich mache heute mal eine besonders lange Frühstückspause.
Nach über einer Stunde, – oder eineinhalb, öffnen sich die Türen. Die Vier sind alle gleich gekleidet. Sie erinnern mich an Straßenbauarbeiter, wie sie bei uns die Autobahnen in Stand halten. Klobige Sicherheitsschuhe, weiße Schutzanzüge, und darüber Schutzwesten. Zwei von ihnen im leuchtenden Grün, die anderen beiden in orangefarbiger Signalweste. Die Helme bleiben in den Autos am Haken. Mit Brettern von den Ladeflächen ihrer Dienstfahrzeuge begeben sie sich auf den Friedhof.
Eine skurrile Szenerie, die sich da durch den Nieselregen von meinem Platz aus gut beobachten lässt. Vier Männer in fluoreszierenden Schutzanzügen tragen vier Holzbretter zu einer zuvor ausgehobenen Grabstelle und bereiten sie offenbar für eine anstehende Beerdigung vor. Zur Stabilsierung der Gruft legt jeder von ihnen an eine der vier Seiten sein Brett aus. - Sicherlich haben diese städtischen Angestellten sonst noch andere Aufgaben zu bewältigen als die der Friedhofsgärtnerei. – Vorerst aber wohl nicht! Sie kommen wieder zurück zu ihren Autos. Zeit für eine Mittagspause.
Es ist nun zirka 14 Uhr, – oder kurz nach. Ein Leichenwagen taucht auf und stellt sich vor die beiden Arbeitsfahrzeuge. Das imposante Auto, ein hoher schwarze Kombi mit Vollverglasung bringt mit Panoramasicht einen großen Eichensarg vorbei. Ich muss an Schneewitchen denken.
Die vier Facharbeiter zeigen sich wenig beeindruckt, ignorieren routiniert das Geschehen und warten professionell ab.
Nach und nach treffen Trauergäste ein. Ich überlege, ob es angebracht sei, diesen Ort nun zu verlassen? Stehe aber mit meinem WoMo so weit abseits, dass man mich womöglich gar nicht wahrnimmt. Wenigstens ziehe ich an den nichtgetönten Fenstern die Verschattungen zu. So ist mein Interesse an dieser Zeremonie nicht sichtbar. Durch meine anderen, den getönten Fenstern, lässt sich heraus- nicht aber hineinblicken. Ich kann meiner Neugierde unbemerkt weiter nachgehen. Aus Pietätsgründen verzichte ich aber mal auf das Fotografieren.
Die sechs Sargträger im schwarzen Anzug und mit hochroten Köpfen zeigen sich sehr unbeholfen. Sogar aus der Distanz ist zu erkennen, in dieser Tätigkeit sind sie ungeübt. Gestenreich bemüht sich der Geistliche die sechs Männer mit dem Sarg auf den Schultern zum Grab zu dirigieren. Die angestrengten Männer sind auch noch deutlich unterschiedlich groß. Das macht den Gang mit dieser Last auf dem hügeligen Gelände nicht unbedingt einfacher.
Am Ende aber erreichen sie ohne Zwischenstopp das holzumrahmte Erdloch.
Ich wünschte, die starken Männer aus den beiden Autos würden jetzt wenigstens beim Herablassen des Sarges mithelfen. Für dieses Bild hätte ich aber gnadenlos meine Kamera hervorgeholt. – Die Szene bleibt leider nur in meiner Vorstellung bestehen. Und die sechs Männer im schwarzen Anzug haben auch ohne Hilfe der Facharbeiter in leuchtender Schutzbekleidung den Sarg in das Erdreich bekommen. Halleluja!
Ein Blick zu den vier städtischen Angestellten. Sie warten geduldig die gesamte Trauerzeremonie ab und sitzen noch immer in sichtbarer Nähe in ihren Fahrzeugen. Die Scheiben sind noch immer heruntergelassen. Wahrscheinlich um das lästige Beschlagen zu verhindern.
Erst als die letzten Trauergäste das Gelände verlassen haben, – es ist bereits 15 Uhr, – oder deutlich danach -, kommen sie für ihre nächste Aufgabe heraus.
Zu viert schaufeln sie abwechselnd das Grab zu und decken es mit einer Plane ab. Dabei kommt lauter als zuvor der gute britische Humor wieder einmal nicht zu kurz.
Ein wenig Bewegung an der frischen Luft würde auch mir gut tun und ich mache mich auf den Weg durch die Dünen zum Strand. Nach der nach dieser stundenlangen Beobachtungsleistung tut der leichte Regen erfrischend gut.
Nach ziemlich genau einer Stunde komme ich zurück. Die Männer sitzen wieder in ihren Arbeitsfahrzeugen. Ich nehme an, zum Berichtsheft schreiben.
Dann endlich Feierabend! Als sie sich auf den Weg machen, – ich habe nicht auf die Uhr geschaut-, verlassen sie grußlos das Gelände. Eigentlich bin ich von den Schotten mehr Freundlichkeit gewohnt. – Schließlich haben wir fast einen ganzen Arbeitstag miteinander verbracht.
Stefan
Angelika
Nici
Mario
Olaf
Mario
Olaf