Kaum vorstellbar: Hier im äußersten Norden der Shetlandinseln soll ein Weltraumbahnhof entstehen. Von einer der Landzungen, die weit ins Meer ragen, sollen schon bald die ersten Trägerraketen mit Satelliten starten.
Der „SaxaVord Spaceport“ wurde im Jahr 2017 von geschäftstüchtigen Shetländern ins Leben gerufen. Das Projekt verspricht viel Geld. Mehr als man je mit Schafen verdienen kann. Und das strategisch günstige Gelände, dass zuletzt die Schafe für sich eingenommen hatten, beherbergte bereits von 1940 bis 1947 eine Radarstation der Royal Air Force.
Besondere Vorteile nämlich bietet diese außergewöhnliche Lage beim Start von Satelliten ins All. Sie können von hier aus problemlos auf die „Polare Umlaufbahn“ geschossen werden, denn in Richtung Norden gibt es keine bewohnten Gebiete mehr.
Zu gern hätte ich mir diese Baustelle aus nächster Nähe angesehen. Ging aber nicht. Man wird freundlich darauf hingewiesen, man möchte ungestört baggern. Das geplante Besucherzentrum in dem kleinen Ort Norwick ist leider noch nicht in Betrieb. Aber die website vom SaxaVord Spaceport und Wikipedia verraten schon einiges über dieses Projekt.
Wegen der Hochtechnologie bin ich auch nicht hierher gekommen. Die einzigartige Natur verspricht sowieso mehr Spannung. Und soviel kann man auch noch nicht sehen von dem Satellitenbahnhof.
Ich gehe dorthin, wo kein Bagger mehr hinkommt. Über Felsen und Klippen geht es zu einem schönen geschützen Strand. Dort beobachte ich den Ausflug einer Entenfamilie. Die Kinder sollen im seichten Wasser lernen, gegen die Wellen anzuschwimmen. Unisono ducken sie sich bevor die Wellen über sie zusammenbrechen. Klappt schon gut. Ertrinken wird schon keines ihrer Kinder. Aber die Raubmöwe (Skua) schwebt gefährlich nahe über den flauschigen Tierchen. Ich frage mich, wie die Enteneltern sie zu verteidigen wüssten wenn der große Raubvogel über ihnen Ernst macht? Vielleicht reicht einfach die Anwesenheit und die körperliche Mehrzahl? Der Ausflug endet jedenfalls heute mit einem Happy End.
Während ich mit Spannung diese Szene verfolgt habe wurde ich selbst beobachtet. Seehunde interessieren sich für Menschen. Das konnte ich schon häufiger feststellen. Sie bleiben auf Distanz, sind aber neugierig und verfolgen einen gerne mal über eine längere Strecke parallel zum Ufer.
Die Natur hier ist ein einzigartiges Paradies für Vögel. Und dementsprechend auch für Ornithologen. Ich habe selbst keine Ahnung davon. Es waren glaube ich Gänse, die über mir hergeflogen sind. Und Austernfischer mit ihren auffällig roten Schnäbeln, die laute aufgeregte Geräusche von sich gegeben haben sobald ich in ihre Nähe kam. Auch Gannets lassen sich hier beobachten. Große weiße Vögel mit schwarzen Flügelspitzen, die pfeilschnell ins Wasser schießen und nach dem Tauchen mit einem Fisch wieder herauskommen. Ihre eigentlich außergewöhnlich große Population auf Shetland ist leider bedroht durch eine Vogelgrippe, habe ich mir von Vogelkundlern sagen lassen.
Nach dieser ereignisreichen Expedition ins Tierreich strebe ich die Suche nach einem Café an.
Schon von draußen durch die Fenster sieht man, bei Victorias Vintage Tea gibt es viel Deko auf den Tischen und Regalen. Das hat Stil. Gerahmte Fotografien aus lange und jüngst vergangenen Inselzeiten an den Wänden bestimmen genauso das Ambiente. Die Musik, modern, wahrscheinlich Charts.
„Ich möchte einen Café Latte, aber bitte mit Soja-Milch und Scones“. „Leider ist die Kaffeemaschine kaputt, ich könnte einen Filterkaffee bekommen“, bietet mir die attraktive junge Bedienung an. Und während ich überlege summt sie leise aber selbstbewusst die Hintergrundmusik mit. „Dann doch lieber Tee zu den Scones. Passt sowieso besser!“ Sie gibt mir wortlos aber lächelnd recht.
Während ich heißhungrig warte gehen mir zwei Fragen durch den Kopf: Haben die hier WLan? Und zweitens, – wie muss das Leben für eine junge Frau, ungefähr in dem Alter meiner Tochter, auf dieser entlegenen nördlichsten Insel Großbritanniens sein? Windgeschüttelt und geprägt vom Geruch des Meeres. Spärlich bewohnt. – Und dann sind die Hauptbewohner auch noch Schafe. Die erste Frage ist für mich leicht zu stellen ohne gleich distanzlos zu wirken. Mit der Antwort gibt sie mir eine Steilvorlage für die zweite: „Heute sieht es nicht gut aus“. Das Internet sei hier wetterabhängig. Und sie als Studentin wiederum abhängig vom Internet.
Da fällt es mir leicht zu fragen, wo und was sie denn studiere? „In Edinburgh, – Criminalistic“! „How interesting is that“! – Mir fällt gleich die nächste Frage ein: „Ob sie die Krimiserie „Shetland“ kennt“? Wie aus der Pistole geschossen (passt gut, oder?) kommt eine Antwort, mit der ich nicht gerechnet, mir aber gewünscht habe: „Ja, aber das ist alles nicht wahr! Auf den Shetlands hat es in den letzten 100 Jahren nur zwei Morde gegeben“.
Vielleicht ist das Leben, – nicht nur für junge Frauen, auf diesen abgelegenen Inseln langweilig? Aber immerhin sicher!
Susanne Szamlewski
Mario