Aviemore, eine Kleinstadt südlich von Inverness. Dutzende Geschäfte aufgereiht entlang der Hauptstraße. Die zahlreichen Outdoor-Läden prägen das Gesamtbild. Sie buhlen um Aufmerksamkeit, wollen sich gegenseitig übertrumpfen.
Alles ist auf Tourismus ausgelegt. SALE! SALE! SALE! Vor einem Trekkingfachgeschäft ein künstlich aufgetürmter Felsen, den ein ausrangierter JEEP zu erklimmen versucht.
Ich will nur schnell etwas einkaufen, einen Kaffee trinken und dann aber wieder los! Bloß nicht zu lange hier bleiben.
Ich komme an einem ewig langen Palisadenzaun vorbei. – Tom Sawyer hätte an diesen weiß gestrichenen Latten das Geschäft seines Lebens machen können. – Hinter mir, unverkennbar, das Geräusch einer herannahenden Dampflok. Sie kommt laut quietschend ungefähr auf gleicher Höhe neben mir zum Stehen. – Wieder so eine Touristenattraktion, denke ich, kann mir aber den Blick durch den Lattenzaun nicht verkneifen.
Das gibt es doch nicht. Was für eine imposante Erscheinung! Für einen unverstellten Blick über den Zaun klettere ich auf eine Mauer.
Und wenn so ein Berufsjugendlicher mit einem Cappy auf dem Kopf über einen Zaun lugt, dann fällt das gleich auf. Ich bleibe also nicht lange alleine auf meiner Mauer.
Die anderen Zaungäste zeigen sich ebenfalls begeistert. Sie interessieren sich aber viel mehr für die Dampflok. Ich mich für die Lokomotivführerin mit der Rasta-Hochsteckfrisur, der rosa Strähne, den Piercings und den Tattoos.
Noch schnell ein paar Fotos aus dieser Perspektive und dann los zum Bahnsteig.
An dem langen Lattenzaun entlang und vorbei an den bevölkerten Geschäften finde ich am Ende der Konsummeile den Eingang zum Bahnhof.
Wie in einer anderen Welt, – oder auf einmal als Statist in einem Filmset. So kommt man sich plötzlich und unerwartet in dieser Kulisse vor.
„Ich möchte nur Fotos machen!“ „Dann macht das 50 Cent“, sagt die freundliche Dame hinter dem Schalter und gibt mir so ein Bahnsteigticket aus Pappe mit Datum drauf. Und schon bin ich in der Vergabgenheit angekommen. „Der Zug fährt in drei Minuten ab!“ „Hoffentlich nicht pünktlich“, denke ich, denn ich muss noch an den vielen Bahnbeamten vorbei und erklären, dass ich nicht beabsichtige, mitzufahren. Ich will doch erstmal nur die Lokführerin kennen lernen.
Keine Zeit zum Zögern. Am vorderen Zugende angekommen falle ich sofort mit der Tür ins Haus. Ich frage sie nach Ihrem Namen und ob ich ein paar Fotos von ihr machen darf? „Na klar!“ – Jane ist so freundlich wie sie aussieht. – „Aber es bleibt nicht viel Zeit!“
Ihre volle Konzentration gilt der schwarzen „Ivatt 46512“ (Baujahr 1952) und dem Kollegen, der ihr vom Bahnsteig aus sogleich das Signal zur Abfahrt gibt. Jane bestätigt mit einem deutlichen Handzeichen und gibt Volldampf. Dunkler Rauch steigt säulenartig auf. Der Koloss setzt sich in Bewegung und Jane verschwindet schneller als mir lieb ist.
Schade! Gerne hätte ich sie gefragt, wie sie zur Lokführerin wurde. Wahrscheinlich hat Ihr großer Bruder sie nie mit seiner Modelleisenbahn spielen lassen. „Dann werde ich später eben selbst eine Dampflok fahren!“ – Und so ist es dann auch gekommen.
Sie ist die erste und einzige Frau im Team, verrät mir mit schelmischem Blick Matthew, der sympathische junge Bahnbeamte mit der Mütze. Es herrscht eine gute und entspannte Stimmung auf diesem Teil des Bahnhofs von Aviemore wo ausschließlich historische Fahrzeuge fahren. Hier auf Gleis 3 arbeiten alle unentgeltlich und aus Leidenschaft. Man könnte aber meinen, sie seien gecastet worden. Bahnfahren kann so schön sein!
Claudia
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