Wenn ein Ort mal gar nichts Lebendiges zu bieten hat, dann gehe auf den Friedhof! Rückwirkend lässt sich da so einiges Interessantes über das Leben, die Geschichte und den Tod der Menschen erfahren.
Aus einer interessanten Mischung von besonderer Ehrerbietung gegenüber ihrer Vorfahren, dem ausgeprägten Stolz der eigenen Historie, – und nicht zuletzt der hohen Toleranz für Unordentlichkeit und Verfall an genau der richtigen Stelle, haben wir den Briten zu verdanken, dass bei ihnen beinahe jeder Friedhof sehenswert ist.
Gestorben wird überall gleich. Und die christlichen Beisetzungszeremonien ähneln sich auch. Hüben wie drüben. Bei der Friedhofskultur aber herrschen augenscheinlich andere Gesetzmäßigkeiten. Grabsteine können hier ewig verweilen. Und einmal umgefallen, dürfen sie liegen bleiben.
Sind die dazugehörigen Kirchen, Klöster und Kapellen dann auch noch zu Ruinen verfallen ist die Szenerie fast perfekt. Jetzt wünscht man sich auch noch schwere und tiefhängende Wolken dazu.
Der Blick über eine Friedhofsmauer lohnt immer. Man sieht es den Mauern schon oft von Weitem an: Hier werden uralte Begräbnisse, Zeugnisse vergangener Generationen sich selbst überlassen.
Man findet sie überall. Und auf ihre eigene Art besonders interessant sind die an den Küsten und auf den Inseln. Nicht selten sind dort die Gräber zum Meer hin ausgerichtet.
Kräftige Witterungseinflüsse an der rauen See haben die Grabsteine besonders mutieren lassen. Durch salzhaltige feuchte Luft, starke Winde, ungebremste Sonnenstrahlen und dann auch noch Moose und Flechten, die sich auf den aufgerauten Steinen willkommen fühlen. Erst werden Grabmale unkenntlich gemacht, – dann bekommen sie ein neues Gesicht. Langsame Veränderungen, als ob ein Leben drin steckt. G
Je bedeutender die oder der Verstorbene, desto prunkvoller die letzte Niederlassung. Das ist überall gleich. Und macht die Sache nicht weniger interessant. Meistens bleibt man bei den großen imposanten Grabmalen hängen, die, mit den Skulpturen drauf.
Mit ehemals reich verzierten Umzäunungen aus Metall wollte man sich, wie im richtigen Leben, auch nach dem Tod deutlich abgrenzen. Einigen Gräbern sieht man das noch an, manchen lässt es sich noch erahnen.
Der Rost ist Schuld, – so denke ich -, warum viele Zäune nicht das Alter der Grabsteine erreicht haben und mittlerweile verschwunden sind. In der Nähe von Sterling lerne ich aber, dass eine hohe Zahl von Grab-Umrandungen aus Stahl der Rüstungsindustrie im 2. Weltkrieg zum Opfer gefallen sind. Ob dabei im Einzelnen die Angehörigen befragt wurden geht aus dem Inhalt der Infotafel nicht hervor. Ein hoher Grad an Patriotismus wurde wohl vorausgesetzt. Bei ihnen und bei den Verstorbenen sowieso.
Auf diesem Teil des Friedhofs hat schon lange niemand mehr die Sense angesetzt. Die letzte Beisetzung fand vor ewigen Zeiten statt. Und die letzte Rasenpflege nur noch ein einziges Mal danach. Einfach schön!
Das Gesamtbild ist farbreduziert. Zu den Graurotbraunen Grabsteinen geben die Gräser zum Kontrast ihr Grün ab. Keine Blumen. Dafür blüht ein Fuchsienstrauch, der sich, anfangs als Grabschmuck über Jahrzehnte bemüht hat die Parzelle zu überwuchern. Mit Erfolg! Wie im Wettbewerb mit mir selbst suche ich das Grab mit der ältesten Inschrift. Heute reicht es zurück bis 1764 .
Im krassen Kontrast befinden sich die neuen Gräber mit ihren kalt wirkenden blankpolieren Steinen an der gegenüberliegenden Seite des Geländes. Manchmal aber vermischen sich die Grabanlagen auch und neben den Gebeinen sehr alter Generationen werden jüngst verstorbene Menschen beigesetzt. Wie z.B. in Kirkcudbright (sprich Köhrkkjubrieh).
Die Begräbnisstätte in dem nicht sehr großen „Künstler-Ort“ an der schottischen Südküste hat für Interessierte des Totenkults viel zu bieten. Während der Besucher-Saison wird einmal wöchentlich durch Ortskundige über den historischen Gottesacker geführt. Dass diese Führungen stattfinden, – und auch noch gratis, hat man skurilerweise zerstörungswütigen Jugendlichen und dem Einzug der Filiale einer großen Supermarktkette im Ort zu verdanken.
Unter dem Einfluss von massenweise kostengünstigem Bier haben die Randalierer vor einigen Jahren eine hohe Anzahl uralter Grabsteine zerlegt. Die Verwüstung muss enorm gewesen sein. Und die für den Wiederaufbau beantragten öffentlichen Gelder wurden nur unter der Bedingung bewilligt, dass man den Friedhof mit seinen sehenswürdigen Besonderheiten zukünftig touristisch attraktiv präsentiert.
Die Gräber wurden wieder hergerichtet. Infotafeln wurden angebracht. Und für eine 90-Minuten Tour über das Gräbergelände gibt es mehr als genug zu erzählen.
David, der Tourguide, ist pensionierter Historiker und hat vormals das kleine Museum im Ort geleitet. Er verfügt über ein fundiertes Wissen und weiß seine Kenntnisse auch humorvoll vorzutragen. Wie zum Beispiel die Geschichte um das Grab von William Marshall, dem „Tinker“:
Der im Jahr 1792 Verstorbene soll hauptberuflich mit der Bearbeitung von Horn und Blech (Tin) zu tun gehabt haben. – Was ja nichts besonderes ist. „Bill“ Marshall aber hat das gesegnete Lebensalter von 120 Jahren erreicht. Er war ein „Gypsy-King“, – also politisch inkorrekt ausgedrückt: ein „Zigeuner-König“. Man sagt ihm nach, mit 17 Frauen unzählig viele Kinder gezeugt zu haben und einige davon auch noch nach seinem 100. Geburtstag.
Dass er seine Alimente nicht allein mit dem Verkauf von Blechwaren bestreiten konnte liegt auf der Hand. Nebenerwerbstätigkeiten wie Illegale Geschäfte und kriminelle Handlungen werden ihm nachgesagt und sind auch urkundlich belegt.
-> carsphairn archive.
Mit der Glaubwürdigkeit eines Historikers erzählt uns David dazu eine persönlich Anekdote. Noch während der Zeit seiner Berufstätigkeit tauchte ein schwarzes Auto mit zwei schwarzbekleideten Männern vor seinem Museum auf. Die Männer hatten eine Koffer dabei, – wahrscheinlich auch schwarz. Darin eine hohe Summe Bargeld. Für das Geld wollten die Männer die Überreste des Grabes von ihrem „Tinker“ ausbuddeln dürfen. Kurz gesagt: Der ungewöhnliche Deal kam nicht zustande.
Der Grabstein von William Marshall blieb, vielleicht auch zum großen Glück und zur Unversehrtheit der Jugendlichen, bei dem Akt der Zerstörung verschont. Er wurde dennoch aufwändig restauriert und ist heute eines der meistbesuchten Grabmäler des Friedhofs. Der Weg dahin, und nur dort, wird regelmäßig gemäht. – Es muss wohl eine kulturelle Sitte sein, dem vor 230 Jahren Verstorbenen zum Abschied ein paar Münzen auf den Stein zu legen.
Älteste Begräbnisstätte auf dieser Anlage ist die von einem John Shawe von 1620. Ein anderer Stein wurde 1856 zum Tod von Robert Kincaid gesetzt und über mehrere Generationen genutzt. Das letzte mal 1981.
Die Inschriften vieler Grabsteine geben Aufschluss über das soziale und wirtschaftliche Leben mehrerer Generationen in diesem kleinen Städtchen. Wir lernen anhand von eingemeisselten Symbolen, welcher Berufszunft der Tote angehört hat. Schmied, Zimmermann, Schiffsbauer, Kaufmann,- auch Mitgliedschaften bei den Freimaurern sind zu erkennen. Mit welchem Material Bill Marshall seine legalen Einkünfte bestritten hat ist auf der Rückseite seines Grabmales zu erkennen.
Manch ein Gedenkstein lässt auf Verbindungen nach Übersee schließen. Familien wanderten zu schlechten Zeiten gezwungenermaßen aus. Zu anderen Zeiten wurden lukrative Geschäfte in der Ferne gemacht und haben den Ort zu Wohlstand gebracht. Leider auch von hier aus durch den Handel mit Sklaven und der Ausbeutung der Kolonien.
Vergangenheit, die hier geschrieben wurde, hat auch Spuren auf den Ruhestätten ihrer Verstorbenen hinterlassen. Manchmal sehr deutlich und leicht zu entziffern, manchmal auch kryptisch, dann hilft die bloße Fantasie für Geschichten.
In Verbindung mit einem Begräbnis hatte ich auf meiner Reise ein besonderes Erlebnis. Möchte es jemand hören?
Angelika
Mario
Nici
Mario
Olaf
Ines
Mario
Mario