Für mich fing das alles erst im Sommer 2017 an. Ich war bis dahin völlig unbedarft. Andere waren da schon bedeutend weiter. Und ausgerechnet ich, der Älteste in der Runde war die Unschuld vom Lande. Ich kam mir dermaßen unerfahren vor. Und eines klar: Wenn ich mitmischen will gibt es verdammt viel aufzuholen.
An beinahe jedem Arbeitstag kam es von meinen Kolleginnen und Kollegen sprichwörtlich „auf den Tisch“. Geschichten von Intrigen, Machtkämpfen und purem Sex! Kaum noch ein anderes Thema war wichtig genug. Jedes mal eine ständige Gratwanderung zwischen teasern und spoilern. – Nur nichts ausplaudern, was die anderen von allein erfahren sollten.
Ich habe lange Zeit nur distanziert zugehört. Hielt mich da raus. Aber zugegeben, es hörte sich immer wieder interessant und spannend an. Und eigentlich hatte ich mich schon viel früher für so etwas interessiert. Als Jugendlicher schon. Ehrlich gesagt, – bereits als Kind.
Aber heute wollte ich mit feuerspeienden Drachen nichts mehr zu tun haben. Das war mir zu viel Fantasy! Da hab ich mich erstmal zurückgelehnt und behauptet, ich wüsste mit meiner Zeit Besseres anzufangen als mit „Weissen Wanderern“, deren Herrscher Tote wiederbeleben konnte.
Wenn sich aber erwachsene UND intelligente Menschen in jeder Mittagspause über den Fortgang einer Geschichte ereifern können, dann muss wohl auch etwas dran sein an dieser TV-Serie. Die meisten von ihnen waren jedenfalls schon komplett durch mit Staffel Sechs. Und mit großen Erwartungsfantasien fieberten sie der bereits angekündigten siebten Episode entgegen.
Früher oder später musste so kommen. In einem Moment der Unüberlegtheit und schwacher Gegenwehr wurde auch ich weich. Die ersten sechs Staffeln der Serie Game of Thrones (GOT) waren auf Blue Ray-DVD schon auf dem Markt. Und die Erste davon natürlich zum Schleuderpreis. Ich wollte nicht nur verstehen worum es ging bei unseren Tischgesprächen, ich wollte zukünftig auch mitreden können. Und den überheblichen Verweigerer zu mimen war auf Dauer auch viel zu anstrengend.
Gekauft! Und noch am gleichen Abend waren die ersten drei Folgen am Stück fällig. Danach gab es kein Zurück mehr. Es mussten 60 Folgen aufgeholt werden. Das waren viele unterhaltsame Abende bei Mord und Totschlag im mittelalterlichem Gewand. Und Sex und Inzucht, – eben ohne dem.
Die Handlungen, großartig ausstaffiert und in Szene gesetzt, waren nie voraussehbar. Das war eine der Besonderheiten der Serie. Helden kamen,- und gingen unerwartet wieder. Die Fieslinge blieben meistens länger. Aber mein persönlicher Liebling blieb bis zum Ende. Der mit den kurzen Beinen und dem gesunden Appetit auf Alles.
Weil es immer noch vernünftige Menschen gibt, die der Serie erfolgreich widerstehen konnten, hier eine ultrakurze Zusammenfassung:
Basierend auf der Romanreihe „A Song of Ice and Fire“ des US-amerikanischen Schriftstellers George R. R. Martin wurde von D. Benioff und D. B. Weiss für HBO die TV-Serie „Game of Thrones“ produziert.
Sieben Königreiche auf einem Kontinent namens Westeros. Durch eine Meerenge getrennt von dem Kontinent Essos. Auf Westeros bedrohen Kriege und Machtkämpfe die einzelnen Imperien und die politische Stabilität des gesamten Reiches. Es geht um den „Iron Throne“, der Thron der Throne.
Das alles gleicht dem europäischen Mittelalter. Die Handlungen sind aber fiktiv. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen, oder Drachen, wären rein zufällig und nicht beabsichtigt. Die Flugsaurier aber, die mit dem heißen Atem, spielen in dieser Serie eine nicht gerade unbedeutende Rolle. Und ihre attraktive Hüterin erst recht nicht. Bei ihr kann man seine Prinzipien gegen zu viel Fantasy schon mal vernachlässigen. Aber das ist noch nicht alles. – Durch eine gewaltige Mauer aus Eis wird Westeros vor den Gefahren einer unheimlichen Macht aus dem Norden geschützt. Die „Weißen Wanderer“ sind eine Bedrohung für die gesamte Menschheit und somit für das Überleben jedes einzelnen Königreiches. Hier heißt es, – für alle noch so Zerstrittenen – , zusammenhalten! Ob das gelingt? Man erfährt es am Ende der letzten Staffel.
Das heiß erwartete Finale wurde jedoch für die millionenfache Fangemeinde zur riesengroßen Enttäuschung. Soweit mir bekannt, wurden erstmals in der Geschichte des bewegten Bildes Petitionen ins Leben gerufen, um eine Änderung und Neuverfilmung für einen Serienschluss zu erwirken. – Wo darf ich unterschreiben?
Das amerikanische Home Box Office (HBO) bezeichnet selbst die „Titanic Studios“ in Dublin als „home of GOT“. Über ein Jahrzehnt wurden hier viele Szenen der erfolgreichsten Serie der Welt inszeniert. Neben anderen außergewöhnlichen Plätzen in Europa, wie Island, Kroatien und Spanien, wurden ca. 25 Drehorte in Nordirland ausgewählt.
Ich kam mit meinem Fahrrad weder aus dem Norden der Flusslande, – die vor der Targaryen-Invasion zeitweise mit den Eiseninseln vereint waren, noch von Sturmlande oder aus Dorne. Ich bin einfach vom Campingplatz aus losgefahren.
Ungefähr 30 Meilen südöstlich von Belfast an der Mündung vom Strangford Lough liegt das Castle Ward. Ein real existierendes und durchaus sehenswertes Schlösschen mit einer weitläufigen Parkanlage. Das Anwesen wird heute vom National Trust geführt und es verfügt sogar über einen eigenen Campingplatz.
Ich checke dort ein und bekomme einen Übersichtsplan über das umliegende Gelände mit den vielen verschiedenen historischen Gebäuden. Auf Nachfrage gibt man mir auch wertvolle Hinweise auf zahlreiche Film Locations von GOT. Über den fragwürdigen Schluss der Serie brauche ich hier aber nicht zu diskutieren. Von den netten und auskunftsfreudigen Mitarbeitenden hat niemand auch nur eine einzige Folge der Serie gesehen.
Ohne genaue Vorstellung was mich erwarten könnte fahre ich los. Durch zauberhafte Parklandschaften geht es. Unter riesigen alten Bäumen hindurch, zeitweise an einem Seeufer entlang. Über weite Strecken grenzt eine endlos erscheinende alte Mauer das Ufer vom Wald ab. Ich mache mir Gedanken darüber, wie viele Menschen daran gebaut haben könnten und wie lange das gedauert hat? Ohne ein Ergebnis dazu radel ich weiter.
Hinter jeder Biegung ergibt sich ein neues Bild. In der Ferne erscheint das „Castle Ward House“. Im warmen Licht der Abendsonne sieht es wie gemalt aus. Schön anzusehen, aber auf meiner Zeitreise ins Mittelalter beinahe schon zu futuristisch.
Es geht bergab und geradeaus durch eine ehrwürdige Allee. Nach der nächsten Kurve finde ich mich plötzlich in einer anderen Welt wieder. Vor mir taucht eine märchenhaft-mittelalterliche Kulisse auf. Graue, zinnenbewehrte Türme und Mauern bauen sich vor mir auf. Von allen Seiten umgeben sie schützend einen Innenhof. Nur durch ein kleines Steintor gelangt man hinein. Mit dem Fahrrad vielleicht unzeitgemäß, – aber problemlos weil sich niemand mir und meinem Gefährt in den Weg stellt und womöglich einen Wegzoll verlangt.
Ich bin völlig allein hier, kein Mensch weit und breit. Aber durch den Anblick der Szenerie entstehen im Kopf Bilder mittelalterlichen Treibens. Ein Pranger steht herum, ungenutzt. Mir fällt sogleich jemand ein, dessen Kopf hineinpassen könnte.
Ich bin in Winterfell angekommen, dem Sitz der Familie Stark im Norden von Westeros. Hier also ist Bran, entgegen aller Warnungen seiner Mutter, auf den gefährlich hohen Mauern herumgeklettert. Und von dem Turm vor mir wurde er bei der Entdeckung einer höchst unmoralischen Handlung heruntergestoßen. Dass die Filmszenen ordentlich nachbearbeitet wurden wird beim Anblick der wahren Dimensionen deutlich. Am Bildschirm sieht alles viel größer, höher und dramatischer aus.
Vor den Toren dieser kleinen und auf groß gemachten Festung wurde in der ersten Staffel König Robert, genauer gesagt der „König der Andalen und der ersten Menschen“, „Herr der sieben Königslande“, „Beschützer des Reiches“, vormals „Lord von Sturmkap“ und vormals auch „Oberster der Sturmlande“ mit seinem Hofstaat von der Familie Ned Starks empfangen. Die ersten Worte des Oberkönigs an seinen Gastgeber: „Du bist fett geworden!“
In der Ferne ist ein weiterer steinerner Turm zu erkennen: „Walder Freys Castle“. Von hier aus wurden in wichtiger Mission Raben entsandt. Theon Greyjoy wusste aber in dieser Szene durch den Einsatz von Pfeil und Bogen die Übermittlung der Botschaften an die Feinde zu verhindern.
Immer noch im Mittelalter-Modus versunken mache ich mich wieder auf den Weg in dieser großartigen Umgebung um nach weiteren Filmerinnerungen zu suchen.
Mir kommt ein Jogger entgegen. Seine auffällig farbenfrohe Bekleidung, – eindeutig nicht aus gegerbtem Ziegenleder -, passt so gar nicht in meine Szene. Wieder zurück in der Gegenwart angekommen grüße ich den vorbeilaufenden Sportsmann mit der hier üblichen Frage auf die man keine Antwort erwarten sollte: „how are you doin`?“
Die ca. 25 GOT-Drehorte in Nordirland haben den Tourismus enorm angekurbelt und sich in die Liste der Kulturgüter eingereiht. Darunter auch die „Dark Hedges“, eine imposante Allee aus alten miteinander verschlungenen knorrigen Buchen. Die Baumreihen wurde bereits im 18. Jahrhundert angepflanzt zur Aufwertung des gregorianischen Anwesens Gracehill. Man muss kein Fan von Fantasy-Serien sein um es dort schön zu finden.
Genauso wie bei den 400 Millionen Jahre alten Cushendun Caves, die von dem gleichnamigen Ort am oberen nord-östlichen Zipfel der Küste Nordirlands zu erreichen sind. Ohne zu wissen, dass hier eine der mystischsten Szenen der Serie gedreht wurde habe ich die Höhlen besucht weil sie einfach in meinem Reiseführer empfohlen werden. Amüsiert darüber, einen nachgemachten „Eisernen Thron“ in einer Felsnische vorzufinden habe ich erst später in einem Pub erfahren, dass auch dieser Ort auf dem Pilgerweg der GOT-Fans liegt.
In der Hauptstadt Nordirlands geht man mit dem neuen Kulturgut noch offensiver um. Im „Titanic Quarter“, einem sich rasant wandelndem Hafenviertel, sind die „Glass of Thrones“ ein besonderes Geschenk an die Fan-base. Sechs Installationen in eindrucksvoller Kirchenfenster-Manier zeigen auf dem Weg vom Stadtzentrum zu den Titanic-Studios Bildmontagen mit Motiven aus der Serie.
Der Pfad auf der Belfaster Maritime Mile führt zum eigentlichen Publikumsmagneten, dem neuen Titanic-Museum und wird täglich von unzähligen Besuchern angesteuert. Cleveres Stadtmarketing!
Im Ulster Museum in Belfast, ich hätte es mir ohnehin angeschaut, hat man ebenfalls den Hype nicht verschlafen. Vom hauseigenen „Basketmaker Master“ Bob Johnston gefertigt, baumeln zur Begrüßung in der Eingangshalle imposant die drei Lieblinge von Daernerys Targaryen von der Decke. Sie führen zur Ausstellung eines 90 Meter langen Wandteppichs in einem verdunkelten Raum. Handgewebt und handbestickt im Mittelalter-Stil präsentieren sich auf dem Leinenbanner detailreich Szenen aus allen 73 Episoden. Die Fertigung dieser Arbeit erfolgte ebenfalls im Museum. Und der Stoff stammt aus einer der letzten noch existierenden Leinen-Manufakturen, die auch das Material für einen Teil der authentisch anmutenden Filmkostüme hergestellt hat.
Berühren verboten! Wer den Wandbehang trotz Warnung anfasst wird zur Mauer des ewigen Eises geschickt. Jeder Insider weiß, was diese Strafe bedeutet: Lebenslänglicher Dienst in der Nachtwache im Kampf gegen die Wildlinge und die Weißen Wanderern.
Ich ziehe den Gang in das Museumscafè vor. Muss mir mal Gedanken machen, ob ich mich auf das GOT-Prequel „House of the Dragon“ einlassen soll? Es startet noch in diesem Monat. Vielleicht kann mir jemand einen Tipp geben, ob es sich lohnt, – und mir einen Raben senden?
Ines
Mario
Manuela
Mario
Nici
Olaf
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