Was für ein Naturereignis! Zirka 40.000 gleichmäßig geformte Basaltsäulen, die treppenförmig ins Meer führen. Etwa die Hälfte davon mit einem sechseckigen Querschnitt. Andere mit vier, fünf, sieben oder acht Ecken. Ein spektakuläres Schauspiel, das den Anschein erweckt, als ob es auf dem Reißbrett entstanden und dann von Menschenhand erschaffen wurde. Es war aber schon immer da. Seit Menschengedenken und schon lange vor Erfindung des Reißbretts. Und um sich und anderen das erklären zu können musste eine Legende her.
Der irischen Erzählung nach war es ein Riese namens Fionn McCumhaill, der diesen aus Säulen bestehenden Damm wie eine Treppe ins Meer bis nach Schottland gebaut hat. Und das nur, weil er angeblich von seinem Erzfeind Benandonner so heftig beleidigt wurde, dass er in einem Duell seine Ehre wiedererlangen wollte. Benandonner, – ebenfalls Riese -, nahm die Herausforderung an und machte sich über die Treppe von Schottland aus durchs Meer auf den Weg nach Irland.
Fionn, erschöpft und ermüdet vom Treppenbau, erfand eine List um sich vor dem Kampf noch ein wenig zu erholen und sich, vorerst, verleugnen zu lassen. Er verkleidete sich als Baby und wartete in einer Wiege bei seiner Frau auf seinen Gegner. Der, dort angekommen, machte sich beim Anblick des riesenhaften Säuglings Gedanken darüber, wie groß erst der Vater sein müsse. Er zog es dann lieber vor, auf dem gleichen Weg den er gekommen war schnell wieder zu verduften und zerstörte vorsorglich hinter sich die Steinsäulentreppe im Meer.
Geologen haben eine andere und eher physikalisch nüchterne Erklärung für die Entstehung dieser einzigartigen Basaltformationen an dem nördlichen Küstenabschnitt Nordirlands. Sie führen die Anhäufung der senkrechten Steinsäulen an dieser Stelle auf eine besonders schnelle und gleichmäßige Abkühlung von heißer Lava nach einem Vulkanausbruch zurück. In das Material vertikal hineinlaufende Spannungsrisse ließen vor ca. 60 Millionen Jahren die uns heute so faszinierenden Säulenstrukturen entstehen. Der verursachende darüberliegende Vulkan ist in der Zwischenzeit durch Erosion abgetragen und längst verschwunden.
Egal, welcher Theorie man heute Glauben schenken mag, – und die Geschichte mit dem Duell der Riesen ist nicht die einzige Version abseits wissenschaftlicher Erkenntnisse, – der faszinierende Giant’s Causeway hat einen Besuch verdient. Denn was man sieht ist so spektakulär, dass man an der Echtheit zweifeln wollte. Gewaltig und einzigartig, beinahe jedenfalls, denn das Gegenstück findet sich an der Westküste Schottlands auf der Insel Staffa wieder.
Der Giant’s Causeway in Nordirland gilt seit 1986 als UNESCO-Welterbestätte und wird vom National Trust nicht nur verwaltet, – auch vermarktet. Geschickt wurde das Naturphänomen kommerzialisiert. Denn, – was viele Besucher nicht wissen -, man kann dieses Ereignis ebenso kostenfrei besichtigen auch wenn die Zugänge dazu nicht so leicht zu finden und zu erreichen sind. Das ist sicherlich gewollt, und gleich aus mehreren Gründen. Man möchte die Massen der Besucherströme kontrollieren. Man will gezielt informieren und auch vor Gefahren schützen. Und man möchte bestimmt auch nicht auf die finanzielle Einnahmequelle verzichten! Beinahe unvorstellbar, – pro Jahr kommen ungefähr eine Million Besucher, die auf den urzeitlichen Felssäulen herumklettern wollen.
Das kostenpflichtige Besucherzentrum ist also nicht zwingend Teil vom Ganzen. Durch meine Jahres-Mitgliedschaft im National Trust mache ich aber gerne Gebrauch davon, vor allem auch vom Vorteil kostenlosen Parkens.
In dem modernen Besucherzentrum wird das, was mich dahinter real erwartet, erst einmal nach allen Regeln der Kunst medial dargestellt. Interaktiv und für jede Altersgruppe wird alles rund um die säulenartigen Steinformationen erklärt und beschrieben. Dort wird auch die Legende von den beiden streitsüchtigen Riesen in einem Animationsfilm erzählt. Der National Trust weiß wie man es macht. Und Kaffee und Kuchen können die auch.
„This way to Giant’s Causeway“ verweist das Schild auf eine große automatische Schiebetür aus Glas. Aus der Mitte heraus öffnet sie sich und wie aus einem Vakuum verlasse ich das moderne Gebäude von in Richtung Realität. Mir schlägt aber nicht nur mit einem Windstoß eine starke Meeresbrise entgegen. Was mich draußen erwartet lässt beim ersten Anblick die Blase meiner Vorfreude mit einem Mal zerplatzen. Von der Anhöhe schaue ich hinab bis zum Meer und sehe einen Strom von Menschen soweit der Blick reicht. Wie fremdgesteuert bewege ich mich mit der sich abwärts bewegenden Masse mit. Auf dem gleichen Weg kommen im Herdentrieb Menschen wieder zurück nach oben. Und von hinten fordert mit einer dezent klingenden Hupe ein Shuttle Bus seine Bahn. – Wer es nicht glauben mag kann ihn suchen auf einem der Bilder unten -.
Den Bus lasse ich vorbei, bleibe aber dann einfach nur noch stehen, mitten im Gewühl. Will ich wirklich das, was ich hier mache?
Als ob er Gedanken lesen konnte spricht mich aus dem Gegenverkehr im Vorbeigehen ein Jugendlicher an: „Es ist faszinierend und lohnt sich auf jeden Fall bis nach unten zu gehen!“
Vielleicht war er es, der mich zum Weitergehen bewegt hat. Ich will es durchziehen. Das Gefühl der Enttäuschung bleibt aber trotzdem bestehen, genauso wie die Gedanken um einen alternativen Plan.
Ich versuche, es „sportlich“ zu sehen und entscheide mich für Feldforschung in der Masse. Es lassen sich skurrile Szenen beobachten: Selfies am Rande des Abgrundes. Überforderte Eltern mit hyperaktiven Kindern. Gelangweilte Jugendliche mit schlechtem Internetempfang. Picknick auf geologischem Wunderwerk
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Und bei all dem sind immer noch gutgelaunte Guides des National Trust anzutreffen. Sie arbeiten freiwillig, unentgeltlich und sind für alle Fragen offen.
„Also wenn ich hier ohne viel Menschen sein wollte, dann müsste ich früh morgens oder am späten Nachmittag herkommen“. „Und es gäbe auch eine hervorragende Wanderstrecke oberhalb der Klippen. Sehr empfehlenswert! Der Einstieg geht von der Ruine des Dunseverick Castles aus, ca. 5 Meilen von hier.“ Genau das wollte ich hören und hatte damit einen Plan für den nächsten Tag. Wenn der Giant’s Causeway 60 Millionen Jahre auf mich gewartet hat kommt es nun auf den einen Tag länger auch nicht mehr drauf an.
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Am nächsten Tag und am anderen Ende
Gleich zu Beginn der Tour treffe ich zufällig auf Paul Sayers, der ebenfalls allein unterwegs ist. Paul aus Derry/Londonderry arbeitet als Wanderführer, fotografiert wie ich an jeder Ecke und schaut sich die Blumen auch gerne mal von unten an. Wir stellen gemeinsame Themen fest und haben uns gleich viel zu erzählen.
Die vor uns liegende Strecke ist er schon häufig gegangen und er kennt sich bestens in dieser Gegend aus. Ich bekomme von ihm sogleich ungefragt viele Informationen über die Landschaft und die Natur also ob ich ihn für diese Tour als Führer gebucht hätte. Besser hätte es für mich nicht kommen können.
Aus schwindelerregenden Höhen bieten sich von den sich ins Meer schlängelnden Steilklippen hinter jeder Biegung faszinierende Aussichten auf immer mehr freiliegende Basaltsäulen. An einer Stelle, so erklärt mir Paul, haben wir einen „Vierländer-Blick“. Von Nordirland aus schauen wir in Richtung Westen auf die Halbinsel Inishowen der Republik Irland. Im Nord-Osten, gut zu erkennen, Mull of Kintyre in Schottland. Und mit viel Fantasie und gutem Willen kann man in Richtung Süd-Osten eine Anhöhe der Isle of Man erblicken. Da wäre ich allein nie drauf gekommen.
Unsere Wege trennen sich nach guten zwei bis drei Stunden kurz vor dem Visitor Center am Ende der Route. Paul möchte weiter nach Portrush. Ich muss wieder zurück zum Auto. – Was für ein Glück, diesen sympathischen Menschen an diesem Tag und an diesem Ort getroffen zu haben! – Und was für eine schöne Vorstellung, diesen fantastischen Weg noch einmal in die andere Richtung zurück laufen zu können. Vorher aber noch eine Pause. Ganz oben, hoch auf den Klippen liege ich auf torfigem Boden im Gras. Dort bin ich fast alleine und genieße die Ruhe und die Aussicht in die Ferne. Unter mir Hunderte von Menschen, die wie Ameisen über die Trittsteine des Riesen klettern. Es ist kein Zufall, dass ich für solch einen Moment der Zufriedenheit noch eine große Dose Guiness dabei habe.
Nicht nur die Simpsons haben die außergewöhnlichen Steine für sich entdeckt. Schon 1972 haben die Macher von Hipgnosis, einer Londoner Kreativagentur bei dem Giants Causeway das Cover des fünften Albums von Led Zeppelin fotografiert. Das Bild für das Album Houses of the Holy wurde ursprünglich in schwarz-weiß aufgenommen und aufwändig per Hand nachcoloriert.
Der Giant’s Causeway befindet sich an der nördlichen Küste des Countys Antrim in Nordirland, östlich des kleinen Städtchens Bushmills knapp 100 km von Belfast entfernt.
Nici